Rita in Palma – Social Couture

Rita in Palma

Die Wahl-Berlinerin Ann-Kathrin Carstensen gründete 2012 das Schmucklabel Rita in Palma. In ihrer Manufaktur in Neukölln vereint sie traditionelle Handwerkskunst mit sozialem Engagement – und verändert Leben

Ann-Kathrin Carstensen. Rita in Palma
Seit zwölf Jahren engagiert sich Ann-Kathrin Carstensen für Integration und erhält die traditionelle türkisch-kurdische Handwerkskunst des Häkelns. Sie trägt das Samtdirndl „Editha“ mit Baumwollrock und Seidenschürze von WILDSTELLE und die Baumwollbluse „Mina“ von WALDORFF, dazu die Pumps „Hera“ mit Lederschleife von XAVER LUIS.

Rita in Palma ist weit mehr als nur ein Schmucklabel – in ihm kommen High-Fashion-Design, Handarbeit, Tradition und soziales Engagement zusammen. 2012 von Ann-Kathrin Carstensen gegründet, hat sich das Label für handgehäkelte Couture-Accessoires und -Schmuckstücke inzwischen einen Namen gemacht. Der Weg der Unternehmerin in die Modeindustrie war nicht der klassische. Geboren in Hamburg, zog es sie nach dem Abitur nach Berlin. Die Hauptstadt hatte sie bei einem Besuch so begeistert, dass sie beschloss, dort zu bleiben. Zunächst studierte sie Medizin, wechselte jedoch bald zu Modedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Während ihres Studiums jobbte sie in einem Luxus-Wäschegeschäft. „Die Inhaberin entwarf auch eigene Kollektionen“, sagt die Wahl-Berlinerin, „bei ihr konnte ich viel über Modewelt und Selbstständigkeit lernen.“ Diese Erfahrungen waren wertvoll, als sie sich ohne finanzielle Unterstützung mit ihrem Modelabel selbstständig machte. „Das war vielleicht ein wenig naiv“, gibt sie zu – aber es war der Beginn von etwas Einzigartigem. Der Name ihres Labels, Rita in Palma, hat eine tiefere Bedeutung: „Rita hieß meine Großmutter“, erzählt Carstensen. „Ich habe sie sehr bewundert, die Beziehung zu ihr war sehr wichtig für mich. Sie hatte ein hartes Leben mit vielen Schicksalsschlägen. Palma steht sinnbildlich für einen sinnlicheren und glücklicheren Ort, den ich ihr gewünscht hätte.“ Ann-Kathrins Mutter starb sehr früh. „Das ist ein Teil der Geschichte, warum ich heute so viele Frauen und Mütter um mich schare und mit diesen Frauen meine Vision umsetze.“

Aufgewachsen in einem Hamburger Stadtteil mit großer türkisch-kurdischer Community, war Ann-Kathrin von klein auf von der Handwerkskunst der Frauen fasziniert. „Als Kind konnte ich beobachten, wie sie auf der Parkbank saßen und häkelten.“ Die große muslimische Community in Berlin ins-pirierte sie dann, eine Geschäftsidee zu entwickeln, die das traditionelle Handwerk mit modernem Design verbindet. Sie lernte Türkisch, schrieb Flugblätter und knüpfte erste Kontakte zu den Frauen, die anfangs skeptisch waren. „Hier habe ich das erste Mal erfahren, wie es ist, wenn man sich integrieren muss. Als deutsche Frau war jetzt ich die Minderheit“, erinnert sich Carstensen. Doch sobald das Eis gebrochen war, entstanden Vertrauen und Freundschaft. „Im ersten Jahr haben meine Mitarbeiterinnen von zu Hause aus gearbeitet und ich bin zu ihnen nach Hause gefahren,“ erzählt die Diplom-Designerin. So lernte sie die Familienstrukturen und die Rolle der Frauen in diesen Gemeinschaften kennen – und begegnete dabei Familienmüttern, die seit Jahrzehnten in Berlin leben und kaum ein Wort Deutsch sprechen. „Ich habe sehr bedauert, dass diese Frauen keine deutschen Freundinnen haben und nicht Fuß in der deutschen Gesellschaft fassen konnten. Für viele Frauen ist es nicht vorgesehen, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und ihre Individualität auszuleben.“ Diese Erkenntnis legte den Grundstein für die Gründung des gemeinnützigen Vereins „von Meisterhand e.V.“, der Migrantinnen nicht nur beschäftigt, sondern ihnen auch hilft, sich besser in die Gesellschaft zu integrieren.

Der Standort von Rita in Palma in Neukölln ist strategisch gewählt. Obwohl es hier kaum Laufkundschaft gibt, ist es Carstensen wichtig, direkt in der Community zu sein. Denn der Verein fungiert auch als Beratungsstelle und hilft den Frauen bei alltäglichen Herausforderungen, wie Behördengängen oder Arztbesuchen. „Alles passiert auf Augenhöhe“, betont sie. Hier wird das Potenzial der Frauen gefördert und ihnen Perspektiven eröffnet. Im Atelier von Rita in Palma arbeiten heute Frauen aus verschiedenen Ländern wie Syrien, dem Libanon, Pakistan, dem Kosovo und Afghanistan zusammen und lernen voneinander. Die türkisch-kurdischen Profis geben ihr Wissen an die anderen Frauen weiter, die das Handwerk des Häkelns nicht aus ihrer Heimat kennen. Dessen Nachhaltigkeit ist Carstensen ein großes Anliegen. Die meisten Frauen, mit denen sie arbeite, seien zwischen 40 und 65 Jahre alt. Die jüngere Generation zeige weniger Interesse an dem traditionellen Handwerk. Daher sei es ein Ziel von Rita in Palma, junge Frauen auszubilden und langfristig ein anerkannter Ausbildungsbetrieb zu werden. Die gemeinsame Sprache am Arbeitsplatz ist Deutsch. „Wir bieten einen wöchentlichen Deutschkurs und auch einen Yogakurs an“, so die Unternehmerin. Die Kurse seien auf die Bedürfnisse der Frauen abgestimmt und förderten nicht nur deren sprachliche Fähigkeiten, sondern auch ihr allgemeines Wohlbefinden. Das Label hat in den letzten Jahren viele Herausforderungen gemeistert und Erfolge gefeiert. Ein besonderer Moment war die Verleihung eines Sonderpreises durch Bundeskanzlerin Angela Merkel, der es Rita in Palma ermöglichte, eine Modenschau zu organisieren. „Die Töchter meiner Häklerinnen liefen vor Angela Merkel über den Laufsteg“, erinnert sich Carstensen stolz.

 

Die Designs von Rita in Palma sind einzigartig, mit einem hohen Wiedererkennungswert. Carstensen entwickelt die Muster, die Häklerinnen setzen diese dann um. So manches Design entsteht aber auch gemeinsam am Arbeitstisch im Atelierbereich. Seit Jahrhunderten wird das Handwerk des Häkelns innerhalb der türkisch-kurdischen Familien weitergegeben. Junge Mädchen lernen es von ihren Müttern, um die Aussteuer für ihre noch nicht geborenen Töchter und Schwiegertöchter herstellen zu können – sogar Bettlaken werden dabei gehäkelt. Der Tradition entsprechend arbeiten die Frauen im Atelier auch mit extrem dünnem Nähgarn aus der Türkei und speziellen Häkelnadeln. Die Schmuckstücke und Accessoires von Rita in Palma, darunter Armschmuck und Ohrringe, große Kragen und filigrane Kropfbänder, sind das Ergebnis vieler Stunden Handarbeit. „Die Kropfbänder benötigen zwischen acht und 15 Stunden Handarbeit, die großen Colliers brauchen 20 bis 60 Stunden“, erklärt Carstensen. Die Geduld und Präzision der Frauen bewundere sie täglich. Auf den Etiketten ist zu lesen, wer genau ein Stück gehäkelt hat. So trägt seine Besitzerin stets die Lebensgeschichte der Häklerin mit sich. Tatsächlich spürt man das Besondere, wenn man die Couture-Pieces anlegt. Eines beobachtet Carstensen immer wieder: Kundinnen probieren den Schmuck oder ein Accessoire an und stehen sofort aufrechter. Kombiniert werden die Stücke zu allem – zur Jeans, zum Abendkleid oder zur Tracht. „Als Hamburger Deern hatte ich lange keinen Bezug zur Tracht“, sagt Carstensen. „Vor vier Jahren hatte ich dann das erste Mal die Gelegenheit, ins Käfer-Zelt auf dem Oktoberfest zu gehen – und war überrascht, wie stark und selbstbewusst man sich als Frau im Dirndl fühlt. Ich habe es fast wie eine Rüstung empfunden.“ Ihrem Label kommt der Wandel der Tracht zu moderneren Schnitten, neuen Farben und Materialkombinationen entgegen. So wurde Raum geschaffen für Schmuckstücke und Accessoires wie von Rita in Palma mit avantgardistischem High-Fashion-Design.

Rita in Palma ist ein inspirierendes Beispiel dafür, wie Mode, Tradition und soziales Engagement erfolgreich miteinander verknüpft werden können – und wie man mit Herz und Engagement Großes bewirken kann. Durch die Arbeit von Ann-Kathrin Carstensen und den vielen talentierten Frauen, die hinter den Designs stehen, werden nicht nur außergewöhnlich schöner Schmuck und Accessoires geschaffen, sondern auch ein Beitrag zur Integration und zur Stärkung des Miteinanders geleistet. „Die Gemeinschaft, die wir haben, ist für mich sehr wertvoll“, sagt Carstensen. „Ich habe etwas, wofür ich brenne. Wir sind gemeinsam stark und füreinander da.“

COUTURE ZUR TRACHT Im Atelier in Neukölln stellen Häklerinnen in vielen Stunden Handarbeit edle Schmuckstücke und Accessoires her. Ann-Kathrin Carstensen trägt das Samtdirndl „Samanta“ mit der Bluse „Frieda“, beides von WALDORFF.

Kollektionen und Shop unter www.rita-in-palma.com

© Fotos: Stefan Pabst