Ihre zeitlosen Entwürfe wurzeln in der Beschäftigung mit 200 Jahren Gewandgeschichte. Und ihre Kreationen haben auch abgründige Seiten. Ein farbenprächtiger Bildband gibt Einblicke in das Werk der Ausnahme-Modemacherin Susanne Bisovsky
Die Modemacherin Susanne Bisovsky beschreibt ihren Stil gern so: Er sei typisch für Wien, die Stadt, in der sie lebt und arbeitet. Und zugleich ganz untypisch für die gegenwärtige Zeit. Während sich das Modekarussell in Paris, Mailand und New York immer schneller dreht, Designer bis zu acht Kollektionen im Jahr auf den Markt werfen, laufen die Uhren in Susanne Bisovskys Wiener Atelier zwar nicht unbedingt rückwärts, aber doch viel, viel langsamer. Es ist diese wienerische Verlangsamung, die der Modemacherin den Freiraum für ihre detailversessene Kunst verschafft.
Susanne Bisovsky arbeitet in einem rund 200 Quadratmeter großen Atelier mit meterhohen Decken und Flügeltüren in der Beletage der Seidengasse 13, am sogenannten Brillantengrund. Dass sich ausgerechnet in diesen Gassen bereits vor drei Jahrhunderten Stoffhändler und Seidenfabrikanten aus Süddeutschland ansiedelten, die den Wiener Hof mit Samt und Seide, Bändern und Tuch versorgten, ist eine schöne Pointe in einer Biografie, deren Weg in die Mode schon früh vorgezeichnet schien.
Bisovsky, im Jahr 1968 in Linz geboren und im niederösterreichischen Gumpoldskirchen aufgewachsen, legte schon als Kind an die Kostüme ihrer Puppen Hand an. Das werde sie später auch für große Menschen tun, prophezeite sie seinerzeit der Mutter. Als Modestudentin an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, kurz die Angewandte, spürte Bisovsky, wie alte, fast vergessene Techniken wie das Fälteln, das Plissieren oder der Blaudruck sie faszinierten: „Es war so spannend, ich konnte es einfach nicht lassen.“ Seit damals ist alles Textile ihr Lebensthema und mit ihren Entwürfen spürt sie den reichen, regional verwurzelten, aber auch übergreifenden Traditionen lokaler Bekleidungsformen nach.
„Nichts ist unmoderner als der modische Höhepunkt der Zeit.“
Susanne Bisovsky
Weit abseits des modischen Mainstreams bietet Wien ihr dafür die perfekte Kulisse. „Wien ist wirklich keine Modestadt“, sagt Bisovsky, und sie ist darüber nicht im Geringsten traurig. Es gebe in Wien eine Art fahrlässige Langsamkeit, aber auch Zeitlosigkeit, in der die Vergangenheit durch das Gegenwärtige hindurchscheint – so wie auch in ihren Entwürfen. In die Kollektionen, die Bisovsky seit drei Jahrzehnten unter ihrem Label „Wiener Chic“ herausbringt, gibt nun ein aufwändig gestalteter, in schwarzes Leinen gebundener Band erstmals in gedruckter Form umfassende Einblicke. Farbenprächtige, bis ins Detail durchkomponierte Aufnahmen zeigen kunstvolle und sinnliche Kleidung, die von der unbändigen Kreativität und handwerklichen Präzision ihrer Schöpferin zeugt. Bisovskys Kreationen sind zart und verführerisch, opulent und üppig. Sie entwirft bestickte Mieder und Korsagen, bauschige Röcke, Tücher mit fein geklöppelten Spitzenborten und Handschuhe aus geraffter Seide, an Kopf und Körper ihrer Modelle drapiert sie Schleifen, Federn, pastellfarbene Blumenbouquets und überdimensionierte Pompons aus Wolle. Blumendrucke leuchten aus schwarzem Grund, weiße Spitze schmiegt sich an alabasterfarbene Hälse wie ein Hauch von Nichts. Mode, so traumschön, in Material, Schnitt und Farbe so sicher abgestimmt, als habe eine Sammlung der kostbarsten Preziosen aus vergangenen Tagen in einer Zeitkapsel den Weg in unsere Gegenwart gefunden.
Dabei geht es der Modemacherin nicht um die genaue historische Rekonstruktion, sondern um das kenntnisreiche und gekonnte Spiel mit alten Techniken und Technologien. Jedes einzelne ihrer Stücke scheint ein Archiv an Anspielungen, Assoziationen und Bezügen in sich zu tragen, das ihm seinen kunstvollen, präzise gebündelten Ausdruck verleiht. Elemente wie die Haube, das Mieder oder der Opernhandschuh, einst unverrückbare Bestandteile weiblicher Kleiderordnungen, werden zitiert und in eine zeitlose Gegenwart überführt, Accessoires wie der Spazierstock, die perlenbestickte Abendtasche oder der Sonnenschirm werden nach langer Abwesenheit aus dem Trendzyklus erneut zum Dernier Cri für die schicke Wiener Dame von Welt erhoben.
LINKS: „Die Haube als weibliche Kopfbedeckung hat sich aus Kapuze und Gugel entwickelt und kommt in den verschiedensten Formen vor wie Goldhauben, Linzer Hauben oder Flügelhauben, die man trefflich auch Heiliggeist-Hauben nennt.“ RECHTS: „Das Kleid ist ein Teil der Persönlichkeit, aber nicht der Sitz der Seele und stellt etwa gegenüber dem Blut durchaus nichts Wesentliches dar. Seine Zauberkraft geht vielmehr vom Körper des Menschen aus.“
© Fotos: Bernd Preiml, Wolfgang Zac; alle Zitate aus dem Buch: Wiener Chic Susanne Bisovsky
Apropos schicke Dame: Wohl nicht zufällig scheinen viele der Aufnahmen in Pose und Ausdruck auf Frauenfiguren anzuspielen, wie sie in Gestalt von Marie Antoinette, Tolstois Anna Karenina oder Kaiserin Elisabeth von Österreich als Abbilder mondäner und fragiler Weiblichkeit durch unser kollektives Gedächtnis wandern. Dass es diesen Tableaus nicht darauf ankommt, ob der Betrachter in ihnen nun Film- oder Romanfiguren erkennt, eine Reinszenierung historischer Persönlichkeiten oder ein Amalgam aus beidem, angereichert durch die eigene Fantasie, zeigt exemplarisch, wie raffiniert Bisovsky in ihrem Werk die Grenzen zwischen historischer Präzision und Imagination verwischt.
Neben den Entwürfen für die Kundin, die mit Charme, Chuzpe und müheloser Eleganz auf dem gesellschaftlichen Parkett reüssieren möchte, steht eine andere, eine abgründigere Seite in Bisovskys Werk, die mit der makellosen Verhüllung weiblicher Körper bricht. In ihrer Diplomkollektion aus dem Jahr 1995, deren Titel „BE TRACHT UNG“ bereits die Dekonstruktion und Verfremdung von Tradition vorwegnimmt, präsentieren sich anonyme Modelle auf Polaroids. Sie tragen bauchfreie Trachtenmieder, die nach alten Verfahren bedruckt und bestickt, dann aber mit Latex überzogen wurden. Der speckige Glanz der Oberflächen lässt an abwischbare Tischsets billiger Imbissbuden und an Fetischmode denken. Zugleich bewahrt er die Stoffe, kostbaren Museumsstücken gleich, hinter einer durchsichtigen Schicht vor dem Verfall. Das Boudoir Noir, die Einflüsse von Punk, Goth und Fetisch setzen sich auch in späteren Entwürfen immer wieder durch. In der Kollektion „Trachtencouture Trachtenpunk“ von 1999 etwa rauben lederne, nietenbesetzte Armspangen und Totenkopfmotive zart geblümten Oberteilen und Röcken die Unschuld. Kontraste zu setzen und mitunter hart aneinanderzuschneiden, ist ein Verfahren, das aus dem Repertoire der legendären britischen Designerin Vivienne Westwood stammt, Bisovskys Lehrerin an der Angewandten. Westwoods „Punkmode“ setzte mit einer exzentrischen Mischung – Insignien aus der britischen Upperclass auf der einen und provozierende Codes aus der Punk-, Rock- und Hardcore-Szene auf der anderen Seite – neue Kontrapunkte in der Couture-Mode.
LINKS und RECHTS: „Susanne war eine meiner Studentinnen, als ich Anfang der Neunzigerjahre an der Universität für Angewandte Kunst in Wien unterrichtete. … 30 Jahre später ist das Ergebnis eine Arbeit mit einer der einzigartigsten Visionen, die auf internationaler Ebene nur mit den besten verglichen werden kann. Innovativ. Provokativ. Wenn nötig mit Humor durchsetzt.“ (Helmut Lang)
© Fotos: Bernd Preiml; alle Zitate aus dem Buch: Wiener Chic Susanne Bisovsky
Die Tracht hingegen war zu Beginn von Bisovskys Karriere völlig out, entsprach überhaupt nicht dem herrschenden Zeitgeist. Das bot die Chance, kurzlebigen Trendzyklen zu entkommen: „Die Tracht ist die langsamere Schwester der Mode“, fasst die Modemacherin ihre Beschäftigung mit regional geprägten Gewandsprachen aus mehreren Jahrhunderten zusammen. Doch der Trend hat Bisovsky eingeholt: Trachtenmode ist längst wieder salonfähig. Als Zugeständnis an den Zeitgeist bietet Bisovsky eine leistbare Prêt-à-Porter-Linie in ihrem Webshop an.
Für die Fertigung der aufwändigen Einzelstücke ihrer Couture-Kollektionen jedoch opfert sie nach wie vor lange Arbeitstage in ihrem Atelier. Dort hat sich über die Jahrzehnte ein überbordender Fundus an Material angehäuft: Stoffe, Hauben, Bänder, Spitzenborten, Tischtücher und weitere Stücke, die Bisovsky auf Reisen und auf ausgedehnten Streifzügen über europäische Flohmärkte gesammelt hat. Aus diesem beständig wuchernden Archiv, das Bisovsky ihren „Wiener Bauch“ nennt, schöpft sie Inspiration, Wissen und Ideen für ihre Entwürfe. So manches wird dort noch jahre-, vielleicht jahrzehntelang liegen, bis Bisovsky es eines Tages zur Hand nehmen wird, um ihm in einem langsamen Verwandlungsprozess neues Leben einzuhauchen.
LINKS: „Die Paarung Wien und Mode sei an und für sich relativ unbedeutend, aber Susanne Bisovskys „Wiener Chic“ sei eine interessante Strategie.“ (Suzy Menkes) RECHTS: „Eine Kollektion zu kreieren, die scheinbar offensichtliche Kennzeichen der Gewandsprache einer bekannten mexikanischen Malerin aufweist, birgt die Gefahr des medialen Ritts auf der Quote.“
© Fotos: Günter Derleth, Bernd Preiml, Wolfgang Zac; alle Zitate aus dem Buch: Wiener Chic Susanne Bisovsky
Susanne Bisovsky
Die in Linz geborene Modemacherin hat bei Vivienne Westwood studiert und mit J. Ch. Castelbajac und Helmut Lang zusammengearbeitet. 1996 gründet Susanne Bisovsky das Label gleichen Namens. Seit dem Jahr 2000 besteht es aus Susanne Bisovsky und Joseph Bonwit Gerger und agiert von Wien aus. Produziert wird Wiener Chic in Form von Couture und Ready-to-wear. Die Modemacherin überarbeitet einzelne Teile über Jahre und stellt sie in einen völlig neuen Kontext. Webseite und Onlineshop unter bisovsky.com
Wiener Chic
Susanne Bisovsky
304 Seiten, durchgehend farbig bebildert,
Format 25 x 34 cm, 45 Euro,
Verlag Anton Pustet, pustet.at
FESCH-Fazit: Ein opulenter Bildband, der in jede gut sortierte Fashion-Bibliothek gehört.