Cidália Amante-Policarpo bringt wortwörtlich Schwung in die Trachtenwelt: Ihre Kleider vereinen das klassische Dirndl und portugiesische Folklore zu einzigartigen Kreationen mit einer Portion Extravaganz
Berge und Meer, Schweinsbraten und fangfrische Muscheln, Lüftlmalerei und Azulejos – der Kontrast könnte größer nicht sein. Die Designerin Cidália Amante-Policarpo vereint beides in sich, bayerische und nordportugiesische Kultur und Tradition. Ihr Vater stammt aus Porto, ihre Mutter vom Bodensee. Cidália selbst wuchs in Erding bei München auf. Ihre Liebe zur Tracht entdeckte sie während ihres Modestudiums in Stuttgart, als sie sich für den Cannstatter Wasen – nach dem Münchner Oktoberfest das zweitgrößte deutsche Volksfest – ihr erstes eigenes Dirndl kreierte. „Beim Wasen wurde ich häufig auf mein Kleid angesprochen, weil es besonders viel Schwung hatte und eine feminine Silhouette“, erinnert sie sich.
Dass sie für die Mode brennt, war Amante-Policarpo immer schon klar. „Mit fünf Jahren habe ich mit meiner deutschen Oma einen prägenden Moment erlebt. Ich stand mit einem Bettlaken vor einem Spiegel und habe angefangen, das Laken um meinen Körper zu modellieren. Dann habe ich mit meiner Oma begonnen, per Hand und mit riesigen Stichen mein erstes Kleid zu nähen. Nach diesem Erlebnis war für mich klar: Ich will etwas mit Mode machen!“ Von Berufsberatern wurde ihr davon abgeraten, etwas Kreatives zu machen, und in der Modeschule zog man Jobs in großen Firmen der Selbstständigkeit vor. Mut, ein eigenes Label zu gründen, hat man Amante-Policarpo also nicht gemacht. „Nach dem Studium habe ich bei BOSS gearbeitet. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich dort nicht wirklich designen kann, im Sinn von ein Kleidungsstück vom Anfang bis zum Ende zu kreieren.“ Auch für cleane Businessmode konnte sie sich nicht wirklich begeistern. „Tracht war das, was mich zu der Zeit schon länger interessiert hat, und wo man sich kreativ sehr stark austoben kann mit Farben, Stoffen und Mustern.“
2022 launchte Amante-Policarpo schließlich ihr nach ihrem Nachnamen benanntes Label Policarpo. Seitdem hat sie zwei Kollektionen präsentiert, ab Ende Februar 2024 ist die dritte erhältlich. Ihre Kollektionen kreiert die im bayerischen Mindelheim ansässige Designerin jährlich, sie sind nicht saisonal, sondern fortlaufend und zeitlos. „Ich bin grundsätzlich gegen Trends, Fast Fashion und Reduzierungen“, erklärt Amante-Policarpo ihre Designphilosophie, „nicht nur in der Tracht. Denn die Kleidung verliert dadurch emotionalen Wert.“ Einige der Kleider sind allerdings limitiert, weil die Stoffe so einzigartig sind. Aktuell stehen 27 verschiedene Modelle zur Auswahl.
Amante-Policarpos Entwürfe sind keine klassische Tracht. Sie verbinden Merkmale der portugiesischen Nationaltracht mit typischen Dirndlelementen wie der Dirndlschleife, dem herzförmigen Ausschnitt des Mieders und einer angedeuteten Schürze. Diese hat sie zu einem vorn mittig getragenen Schößchen eingekürzt, das auch Drapée genannt wird. „Die Schürze beim Dirndl hatte für mich nie eine Funktion, aber ich wollte sie nicht ganz wegnehmen. Das Schößchen ist quasi eine Hommage an die Schürze.“ Man kann das Policarpo-Kleid aber auch ohne tragen und stattdessen mit einem Schleifenband oder Emaillegürtel die feminine Silhouette betonen. „Bei traditioneller Tracht hat mir persönlich immer die Extravaganz gefehlt“, erklärt Amante-Policarpo. Die hat sie ihrem „Trachtenkleid“ definitiv verliehen: Sie verwendet edles Jacquardgewebe, das teilweise auf der Innenseite des ausladenden Rockes vernäht ist. Der abgesetzte Saum ist der traditionellen portugiesisch-iberischen Tracht entlehnt. Er misst über sieben Meter und hebt den Schwung des Kleides hervor. „Durch die Silhouette und das Gewicht im Saum entsteht ein physikalisches Phänomen, das jede Bewegung verstärkt hervorhebt“, beschreibt Amante-Policarpo den Effekt. „Dadurch wirkt das Kleid sehr lebendig und animiert zum Tanzen. Jede Kundin fängt vor dem Spiegel an, sich zu drehen und den Rock zu schwingen.“ So zauberten die Kleider jeder Frau ein Lächeln ins Gesicht.
Amante-Policarpo selbst hat verschiedene lateinamerikanische Tänze gelernt und den Flamenco. Das erkennt man sofort an ihrer Haltung – und auch am Schnitt ihrer Entwürfe. Charakteristisch für die Designs ist nicht nur der ausladende Rock, sondern auch der für Flamenco-Kleider typische freigesetzte Rücken. „Für mich sieht der Rücken einer Frau in jedem Alter und in jeder Größe gut aus“, so die Designerin. Das Dekolleté wiederum hat sie hochgesetzt, damit man es auch ohne Bluse tragen kann. Als Liebeserklärung an die portugiesische Kultur lassen sich die Namen von Amante-Policarpos neuesten Kreationen interpretieren: „Beleza do Fado“ bedeutet Fado-Schönheit und ist der Titel der dritten, besonders festlichen Policarpo-Kollektion. Glitzerfaden verleiht den Jacquardstoffen einen subtilen Glanz, während Perlenborten, Quasten und langärmlige Blusen aus transparenter Spitze den extravaganten Charakter der eleganten Kleider hervorheben. Benannt sind die edlen Modelle jeweils nach einer Fado-Ikone, zum Beispiel Mariza, der aktuell erfolgreichsten Künstlerin. „Ihr“ Kleid ist weiß-türkis geblümt mit passendem Schößchen und türkisfarbener Schleife. Fado ist der wichtigste traditionelle Musikstil Portugals. Die Lieder handeln meist von Liebe, Sehnsucht und Weltschmerz, eine von den Portugiesen „Saudade“ genannte Melange. „Saudade steht für eine Sehnsucht nach etwas, worauf man liebevoll zurückblickt. Man weiß, dass man es nicht mehr haben kann und erinnert sich mit einem traurig lächelnden Auge daran“, beschreibt Amante-Policarpo den wehmütigen Gesang.
Ein wichtiger Teil der Kollektion ist auch dieses Mal wieder der vergoldete Filigranschmuck mit Elementen aus der portugiesischen Modehistorie. Das Kugelarmband „Contas“ etwa ist ein traditionelles Schmuckstück, das ursprünglich vor rund 150 Jahren von Fischerfrauen auf dem Markt getragen wurde. Sie fingen an, von ihrem Ersparten goldene Kugeln in verschiedenen Größen zu kaufen und zu sammeln und fädelten sie auf eine Wollkette. Diese Ketten werden zu traditionellen Anlässen getragen und sind in Portugal ein Zeichen, dass das große Glück durch kleine Erfolge entsteht. Zu den Kleidern kann man auch einen symbolträchtigen Herzanhänger tragen: Das „Viana-Herz“ stammt aus der im Norden gelegenen Stadt Viana do Castelo, ist meistens aus vergoldetem Silber und ein Symbol der universellen Liebe. In Portugal wird das Schmuckstück traditionell zur Geburt verschenkt. Die Portugiesen, erzählt Amante-Policarpo, seien sehr familienbezogen und harmonieliebend. „Die Werte der Menschen in Portugal liegen weniger bei Erfolg und Geld, sondern sie arbeiten, um schöne Momente zu schaffen für die Menschen, die sie lieben. Das hat mir mein Papa beigebracht. Er hat materielle Dinge immer wieder hinterfragt und meinte zu mir, es sei wichtig, dass ich meine Zeit mit etwas fülle, das ich liebe und mich erfüllt.“
Auf die Frage nach ihrem Vorbild nennt Amante-Policarpo Frida Kahlo: „Sie hat sich selbst so genommen, wie sie ist, und das auch selbstbewusst vertreten, was man in ihren Selbstporträts sieht. Menschen, die den Mut haben, etwas zu verändern, und dabei authentisch bleiben, sind für mich eine Inspiration.“