Leonard von Pfister führt ein sehr erfolgreiches Familienunternehmen – das Modelabel Lodenfrey. FESCH traf den 30-Jährigen im Bayerischen Nationalmuseum in München und sprach mit ihm über Tradition, Zeitgeist und sein Verhältnis zu Hüten
Die Ärmel angesetzt, Knöpfe am Kragen und ein hüftlanger, kastiger Schnitt – beim Besuch des Bayerischen Nationalmuseums fühlt sich Leonard von Pfister von einem Ausstellungsstück unwillkürlich an die Arbeit erinnert, wenngleich er heute frei hat. Im warmen Licht eines Schaukastens schimmert die Jacke von Herzog Wilhelm V. aus dem Jahr 1568 in Rostrot und Bronze, Leonard von Pfister mustert den Schnitt des Modells. Mit Jacken kennt er sich aus – auch wenn das nicht immer so war.
In nunmehr sechster Generation bereitet sich der 30-Jährige derzeit auf Führungsaufgaben vor, weil er schon bald das Unternehmen von Tante Sabine Frey übernehmen wird. Anders als in vielen Familienunternehmen, wo die Nachfolger quasi schon bei der Geburt dazu bestimmt werden, steht das bei den Freys erst seit ein paar Jahren fest. 2019 fragte ihn sein Onkel Klaus Faust, der Ehemann von Sabine Frey, ob er seine Nachfolge antreten wolle. Pfister, der am Bodensee und in Kolumbien Politikwissenschaften studiert hatte und in der Politikberatung arbeiten wollte, zögerte zunächst. Bat um ein Probejahr und holte seine jüngere Schwester Antonia an Bord. Für die Geschwister stand schon bald fest, dass sie sich einen Branchenwechsel vorstellen könnten. Die von Pfisters blieben bei Lodenfrey – und dann kam Corona. Kein einfacher Start, sagt der 30-Jährige Unternehmererbe heute, doch im Nachhinein habe die Krise zu Beginn seiner Karriere ihn und das Unternehmen gestärkt, so dass er glaubt: „Es ist ein guter Zeitpunkt für Trachten.“ Eine erklärungsbedürftige Aussage, geht es doch in Zeiten von Inflation, Energiekrise und Fachkräftemangel vielen Modefirmen wirtschaftlich nicht gut. Während es um die Rahmenbedingungen für den Konsum hochwertiger Textilprodukte, wie es Lodenjacken nun mal sind, eher schlecht steht, nimmt von Pfister nicht nur den Markt, sondern auch die Gesellschaft in den Blick. Und merkt, dass der Zeitgeist es gut meint mit einem so besonderen Unternehmen, wie der Name Lodenfrey es seit mehr als 180 Jahren verkörpert. 1842 kam Johann Georg Frey aus der Ulmer Gegend nach München und gründete dort eine Produktionsstätte für gewebte Wollstoffe, Loden sowie Tücher, Samt und Seide. 1855 entwickelte Frey die erste Funktionsjacke der Geschichte – aus wasserabweisendem Loden. Dafür erhielt er die Goldmedaille auf der Pariser Weltausstellung. Überliefert ist, dass adelige Kreise um Kaiser Franz Joseph I. von nun an in Lodenfrey zur Jagd gingen. Das Geschäft blühte, eine erste Fabrik konnte gebaut werden. Der Rest ist Geschichte – diejenige eines der größten deutschen Textilunternehmen.
„Tradition ist kein statisches Konstrukt.“
Leonard von Pfister
Anspruchsvolle Herrenmode: Am Erfolgsrezept von Lodenfrey hat sich im Grunde nichts geändert, auch wenn heute freilich europaweit produziert wird und aus der Weberei von einst eine internationale Marke geworden ist. Zwei Generationen vor von Pfister trennte sich die Bekleidungsmarke und Fabrikation vom international bekannten Verkaufshaus. Beide sind nach wie vor in Familienbesitz, teilen sich den Namen und agieren in enger Absprache miteinander, wenngleich es zwei getrennte Unternehmen sind. Lodenfrey verkauft sich über Grenzen hinweg. Im stilbewussten Italien etwa schätzen Kunden die exzellenten Schnitte, robuste, langlebige Materialien und die zeitlose Eleganz der Münchner Couture. „Ich habe das Gefühl, Tracht kommt im Moment besonders gut an, weil die Menschen sich auf den Wert regionaler Ware besinnen“, sagt von Pfister. Heimat steht hoch im Kurs, weil regionale Produkte als nachhaltig gelten, und auch aus wirtschaftlichen Gründen, weil Lieferketten weltweit Schwankungen und Unterbrechungen ausgesetzt sind. Tracht als Gegenpol zur Globalisierung – so trifft Lodenfrey den Zeitgeist.
Dass sich unter seiner Führung Dinge ändern werden, macht von Pfister deutlich, während er sich über den Schaukasten eines Modells der Stadt München aus dem Jahr 1570 beugt. „Tradition ist kein statisches Konstrukt“: Das Bekenntnis zu seinen Wurzeln würde er zu keiner Zeit ablegen, doch versuche er stets, Ideen weiterzuentwickeln, kurz: Dinge anders zu machen. Seit seine Schwester Antonia vor einem Jahr das Unternehmen auf unbestimmte Zeit verlassen hat, ist er der einzige Vertreter seiner Generation im Führungskreis. Die Zusammenarbeit sei größtenteils harmonisch, auch wenn die Konstellation „Famillienbetrieb“ zuweilen für Konflikte sorge. „Das Geschäft von der Familie zu trennen halte ich für unmöglich“, sagt von Pfister und lacht. Mit seiner Mutter könne er offen über Berufliches sprechen, da sie nie im Unternehmen gearbeitet habe: „Sie hilft mir, die Familie zu verstehen.“ Zwei wichtige Lektionen hat von Pfister in seinen ersten Berufsjahren gelernt: „Veränderungen von null auf hundert sind schwer zu erreichen.“ Und: „Ich darf nicht alles persönlich nehmen.“
Die Stärke eines Produkts, das sich seit dem 19. Jahrhundert auf dem Markt behauptet, ist sicherlich die Expertise, mit der es hergestellt wird. Schnitte lassen sich kopieren, Erfahrung und Wissen nicht. Dass ihre Geschäftsstrategie nachhaltig ist, merkte die Familie Frey-von Pfister im vergangenen Jahr. Nach zwei Jahren pandemiebedingter Zwangspause hieß es in München wieder „Auf geht‘s zur Wiesn“, die Nachfrage nach Trachtenmode explodierte. Logisch: Nach einer langen Phase mit Homeoffice im Schlabberlook waren viele Menschen wieder bereit für festliche Kleidung. Und in München gehören Dirndl und Janker einfach dazu, egal ob für Einheimische oder sogenannte Zuagroaste – alle Wahlmünchnerinnen und -münchner also. „Wir konnten die Kapazitäten erhöhen, weil wir auf Produktion in Europa setzen“, sagt Pfister, der die rumänischen Werkstätten regelmäßig selbst besucht. Zwar war es auch für Lodenfrey nicht leicht, die Produktion auf die Schnelle hochzufahren, denn Rohstoffe sind weltweit knapp und der Fachkräftemangel macht sich international bemerkbar. Doch wer stabile Gehälter zahlen kann und im europäischen Raum faire Bedingungen für Mitarbeitende schafft, hat es leichter als Betriebe, die Billigware aus China kaufen.
Neben dem Sinn fürs Geschäft steckt in Leonard von Pfister viel Liebe zur Natur. Schon als Schüler segelte er mit Schwester Antonia auf dem Starnberger See, bis heute sind die Berge eine große Liebe von ihm: „Das ist doch der Vorteil an München: Man hat beides, Stadtflair und die Berge vor der Tür. Noch bin ich ein Stadtmensch, weiß aber, dass ich sehr bald ein Landmensch werde.” Bis nach Kirgistan ist er schon gereist, um Skitouren zu gehen, schon länger ist ein Trip nach Indien geplant. Während seiner Zeit in Kolumbien lernte er Ehefrau Isabel kennen, die ihn nach Deutschland begleitete und beim Rundgang im Museum Fotos für die Social-Media-Profile von Lodenfrey macht. Neues zu entdecken hält Pfister für essenziell: „Grundsätzlich finde ich es wichtig und richtig, Traditionen weiterzuentwickeln. Sonst macht man immer nur das Gleiche.“
Modisch gesehen legt von Pfister großen Wert darauf, seinem Stil treu zu bleiben. Beim Abstecher in die Sonderausstellung „Hauptsache. Hüte, Hauben, Hip-Hop-Caps“ im Obergeschoss des Museums betrachtet er mit Interesse Exponate, die einen Überblick über die Geschichte der Kopfbedeckung vom Mittelalter bis zur Gegenwart geben. Er selbst besitze genau ein Exemplar. „Ich bin nicht der Typ für Hüte, sehe sie aber gern.“ Fragt man von Pfister nach modischen Vorbildern, nennt er das italienische Label Etro, das für seine fantasievollen und exzentrischen Kreationen bekannt ist – und ziemlich weit weg vom klassischen Lodenmantel aus München. „Dass man es dort schafft, gleichmäßig relevante Kollektionen hervorzubringen und dem – extrem eigenen – Stil treu zu bleiben, finde ich so cool wie bemerkenswert.“ Was für ein Leitmotiv für einen jungen Firmenchef, der seine Laufbahn gerade erst begonnen hat.
Münchner Erfolgs-Geschichte
Seit mehr als 180 Jahren produziert Lodenfrey Mode auf gleichbleibend hohem Niveau. Weniger Ressourcen zu verbrauchen als nachwachsen und Rohstoffe vollständig zu verbrauchen oder zu recyceln hat sich das Unternehmen auf die Fahne geschrieben.
Webseite und Onlineshop unter www.lodenfrey.eu
© Fotos: Lodenfrey, Vincent Schäfer (1)