Nina Grabmeir lebte über 15 Jahre in London – und kehrte nun in ihre bayerische Heimat zurück, um ihr Trachtenschuh-Label Hadscha zu verwirklichen
Nina Grabmeir ist in Pfaffenhofen bei München geboren und aufgewachsen. Das kann man hören – an ihrem tiefbayerischen Akzent. Der sich hin und wieder mit British English mischt, denn Grabmeir hat mehr als 15 Jahre in London gelebt. Nach ihrem Art und Design Studium am London College of Fashion absolvierte sie einen Bachelor in Footwear Technology. Dort lernte sie, wie man einen Schuh vom Leder angefangen bis zum fertigen Produkt herstellt, „from scratch“, wie sie es nennt. Damit fing alles an: „In meinem Berufsweg hat sich immer alles um Schuhe gedreht“, erzählt die Designerin. „Nach meinem Abschluss habe ich als Designerin oder Produktentwicklerin für Handtaschen und Schuhe gearbeitet. Hauptsächlich in London bei Fred Perry und Sophia Webster, aber dann auch kurz in Kanada bei Aldo. Außerdem bin ich Schuhmodel für E-Commerce-Schuhe. Ein Glücksfall, da diese Schuhe meistens in Größe 37 fotografiert werden – die meiner eigenen entspricht.“ In der Produktentwicklung fühlt sie sich jedoch am wohlsten, da kennt sie sich einfach aus. Kurz vor der Pandemie hat sie Hadscha gegründet und designt nun für ihr eigenes Schuh- und Taschenlabel. Der Labelname kommt vom bayerischen „Hadschen“ und steht für das Wort „Schuhe“. Die Wirkung hat Nina wahrgenommen: „Bei Messebesuchern merkt man schnell, wer aus Bayern stammt: Sie lesen den Namen und kommen ins Schmunzeln.“
„Ich habe länger in London als in Deutschland gewohnt, trotzdem würde ich mich als Bayerin beschreiben.“ Nach London reist sie jedes Mal mit einem Koffer voller Brot, mit in die Heimat nimmt sie „Yorkshire Tea“-Teebeutel. „An London liebe ich den Humor, die Leute, das Lebensgefühl und das Teetrinken. Dennoch glaube ich, ich bin in meinem Herzen Bayerin. Ich bin generell so jemand, der sich überall auf der Welt irgendwie eine kleine Heimat schaffen könnte. Aber zu einem Heimatgefühl gehört natürlich auch Familie.“ Gassigehen mit dem Hund auf den Feldern in Pfaffenhofen, im Grünen den Grillen beim Zirpen zuhören, das erfüllt sie, da fühlt sie sich angekommen. Die bayerische Kultur wurde Nina quasi in die Wiege gelegt. Von ihrem ersten Oktoberfestbesuch gibt es ein Video, das es sogar ins Fernsehen schaffte: Noch in Windeln tanzt sie zwischen ihren Eltern auf der Bierbank hin und her. „Bräuche machen eine Kultur aus, und das ist unglaublich wichtig, auch für die nächste Generation. Es gibt einem auch selber Identität, dass man einfach weiß, wo man herkommt und wofür man steht.“
Diese bayerische Identität hat sie auch in die Hadscha-Schuhe integriert. „Ich persönlich liebe kleine Details am Schuh. Sie bleiben in Erinnerung. Deswegen ist auf jeder rechten Sohle ein bayerischer Spruch eingraviert“, erklärt Nina Grabmeir. Die erste Kollektion „Mogst a Brezn“ hat zwölf Designs: vom flachen Ballerina „Sarah“ bis hin zum „Melli“-Pump – alle Modelle sind mit einer kleinen Metallbreze verziert. Die zweite Kollektion „Fui Zfui Gfui“ ist inspiriert von einer Trachtenmiederschnalle und kommt in kräftigen Farben wie Beere oder Senfgelb. Letztes Jahr kam noch eine kleine Handtaschenkollektion dazu. Die Schuhe und die Taschen sind klassisch geschnitten, zugleich modern, universell einsetzbar und leicht zu kombinieren. So passen sie zu vielen Anlässen. Grabmeir ist diese Vielseitigkeit beim Tragen sehr wichtig. Man kann die Taschen über der Schulter oder crossbody tragen, damit sie etwa beim Tanzen nicht in die Quere kommen. Wie die Schuhe tragen auch die Taschen eine kleine Metallverzierung – das liebevolle Hadscha-Detail. „Individuell zu sein wird in London richtig zelebriert“, erzählt sie. „Ich liebe das People Watching in London, die Mode ist ein wenig lauter, schriller, man nimmt sich nicht zu ernst und hat keine Bedenken, die eigene Persönlichkeit durchscheinen zu lassen.“ Ein wenig von diesem Londoner Flair hat sie mitgenommen und Hadscha eingehaucht.
Alle Produkte werden ausschließlich in Europa produziert. Dank ihrer beruflichen Laufbahn hatte sie Kontakte zu Fabriken in Portugal und Spanien, die ihren Ansprüchen gerecht wurden und auch bereit waren, in kleinsten Stückzahlen zu produzieren. „Schuhe sind an sich eigentlich Massenware – ich gebe mein Bestes, dass Hadscha das nicht ist“, erklärt die Designerin. „Alle Produzenten, mit denen ich zusammenarbeite, sind kleine Familienunternehmen, in denen noch sehr viel mit Hand und viel Liebe zum Detail produziert wird.“ Zwei der portugiesischen Firmen werden von Frauen geleitet – eine Seltenheit in der Branche. Zweimal im Jahr besucht sie die Produktionsstätten, um die Herstellung zu überprüfen und sich neue Entwicklungen anzuschauen. Dort herrsche eine ganz eigene Stimmung. Man hört die Nähmaschinen rattern, schaut den Beschäftigten beim Aufziehen der Leisten zu und lernt bei jedem Besuch wieder etwas Neues. „Es ist einfach magic!“, findet sie.
Auch bei den Materialien setzt Hadscha auf Qualität: Das Oberflächenleder wird ausschließlich aus europäischem Leder und Wildleder hergestellt, das Futter aus europäischen Kalbs- und Ziegenleder. Und Grabmeir plant schon die nächste Kollektion: „In der kommenden Saison würde ich gerne Trachten-Jacquard-Stoffe in mein Design einfließen lassen. Dazu bin ich schon mit einem kleinen deutschen Familienunternehmen in Kontakt. Das Reisen und Kulturen, mit denen ich in Verbindung stehe, sind sehr inspirierend für mich. Das schimmert auch in der neuen Kollektion durch, die 2024 erscheinen wird.“ Eigentlich will sie aber weg vom Kollektions-Gedanken. Ihr Ziel ist es, klassische Schuhe zu designen, die jahrelang getragen werden können. Favoriten-Modelle werden deshalb immer wieder neu definiert und in anderen Farben angeboten. Dadurch entwickelt sich eine Kollektion organisch weiter. Mit einem ihrer Bestseller, dem „Melli“-Pump, hat sie ein Upcycling-Projekt gestartet. Zur Produktion benutzt sie Lederreste, die in der Fabrik in Portugal von anderen Kunden noch auf Lager sind. So gibt es pro Style immer nur zehn oder 20 Stück pro Farbe. Dieses Projekt kam so gut an, dass sie gerade zusammen mit den Fabriken daran arbeitet, es zu erweitern. Ihr persönliches Highlight des Jahres war die Kollaboration von Hadscha mit dem Trachtenlabel Gottseidank. Sie besteht aus zwei Designs: zeitlose, offene Sandalen im Vintage-Look, die zugleich Alltags- und Trachtentauglich sind, benannt nach Straßennamen in München – wie alle Gottseidank-Modelle, etwa Schellingstraße und Augustenstraße. „Es ist bisher mein höchster Schuh, den ich auf den Markt gebracht habe. Aber dadurch, dass er diese Plattform und den Mary-Jane-Riemen hat, sitzt er so gut am Fuß, dass man ihn den ganzen Tag lang tragen kann.“ Beide Versionen sind seit Juli erhältlich.
Tracht ist im Aufschwung – das findet auch Nina Grabmeir: „Solange es Events gibt, bei denen Tracht getragen wird, und da gehört auch der Almabtrieb bis hin zur Taufe und Familienfesten dazu, sage ich: Die Tracht ist ‚Here to stay‘! Das Oktoberfest ist dabei nur ‚The Cherry on Top’.“ Die Liebe zur Tracht ist entflammt, hat auch sie beobachtet – es wird immer mehr Tracht getragen, auch von der Jugend. Und nicht ohne Grund sind in den letzten Jahren mehr und mehr Trachtenlabels gegründet worden. „Ich glaube, gerade in der heutigen Zeit braucht man etwas, dass dieses Heimatgefühl zurückholt.“