Federkielsticker Matthias Wiesheu verziert im oberbayerischen Sauerlach Trachtengürtel und Träger von Lederhosen mit hauchdünnen Fäden aus Pfauenfedern. Ein Werkstattbesuch
Nächstenliebe zeigt sich in vielen Gewändern. In der Werkstatt von Matthias Wiesheu trägt sie Tracht. Gürtel, Tasche und ein Portemonnaie aus Leder, minutiös mit millimeterdünnen Federkielen bestickt. Was der gebürtige Oberbayer aus Johanneskirchen von seiner Familie gelernt hat, will er weitergeben: Dass man einander hilft, wenn einer was braucht. Und dass es Menschen braucht, die sich kümmern – „weil’s sonst keiner macht.” Das gilt fürs Schuhplattln genauso wie für ein bedrohtes Handwerk. Matthias Wiesheu, Jahrgang 1988, ist Mitglied des Trachtenvereins Staffelseer Oberföhring und erster Gauvorplattler des Trachtenverbands Isargau, Ausbildungsleiter für Hör- und Sprachgeschädigte im Berufsbildungswerk Johanneskirchen, Vater eines zweijährigen Sohnes und im Nebenberuf selbstständiger Federkielsticker und Feintäschner. Matthias Wiesheu ist Multitalent, chronisch überlastet – und Archivar einer aussterbenden Kunst.
„Sauber muss ich vorgehen, Stich für Stich – ohne Zwischenräume zu lassen”, sagt er, sitzt auf dem Rössl, einem speziellen Arbeitsstuhl fürs Sticken und schiebt mit der Ahle den Kiel durch ein breites Stück grünes Leder. Die Augen scharf auf die kaum wahrnehmbare Bewegung gerichtet, verlängert er das Bein eines Löwen, der ein blaues Wappen in der Pfote hält: eine Auftragsarbeit, ein Hosenträger im Wert von 1700 Euro. Die Ahle liegt geschmeidig in Wiesheus Hand, acht Jahre Arbeit haben den Griff wie glatt poliert.
Statt mit Garn werden die Motive mit den fein geschnittenen Streifen der Kiele einer Pfauenfeder aufs Leder gestickt: Das ist Federkielstickerei, eine Handwerkskunst, die um 1800 entstand. „Ich müsste mal wieder Federn schneiden, das schiebe ich schon seit Wochen vor mir her”, sagt Wiesheu und schielt hinauf zu einem Bündel Federn, das auf einem Schrank in seiner 20-Quadratmeter-Werkstatt in Sauerlach bei München liegt. Denn die Federkielfäden gibt es nicht zu kaufen, die muss er sich selbst zurechtschneiden. Wie er das macht, bleibt ein Berufsgeheimnis. Jeder hat seine eigenen Methoden, wie das am besten klappt – und die werden nicht verraten.
Zur Federkielstickerei kam Matthias Wiesheu über den Trachtenverein, wo er seit seiner Kindheit Mitglied ist. „Wie Jugendliche gegenseitig ihre neuen Turnschuhe bewundern, vergleichen wir unsere Tracht, die Uhrenketten und Hutfedern.” Weil es im Verein keine richtig schönen Ranzen gab – so heißen die Trachtengurte der Männer –, forschte Wiesheu nach, wie er sie sich selbst machen könnte.
Die Wartezeit für einen Gürtel liegt bei anderthalb Jahren.
Irgendwann traf sie eine Frau beim Wandern, mit Trachtenrock, Wanderstiefeln und Strickjacke: bequem und alltagstauglich, Trachtenmode to go. „Genau so etwas suchte ich.“ Weil sie im Laden nichts Entsprechendes fand, besorgte sich Lauenstein ein paar Meter Dirndlstoffe – und nähte sich einen Rock, genauso, wie sie ihn wollte: auf den Leib geschneidert. Ein schlichter knielanger Rock mit breiter Passe in sanfter A-Linie. Ob mit Gummistiefeln im Garten, mit Pumps beim Sommerfest oder mit Sneakers zum Stadtbummel – ein Entwurf der „Rockmacherin“ passt zu jeder Gelegenheit. Daran hat sich seit damals nichts geändert.
Wiesheu, der nach einer Ausbildung zum Laborassistenten am Agrarbildungszentrum in Landsberg am Lech in einem Analyselabor arbeitete, kaufte sich zunächst gut 150 Federn. Nach Feierabend probierte er ein wenig herum: Mit dem Messer und dem Skalpell, doch mit wenig Erfolg. Erst nach etwa anderthalb Jahren gelang es ihm endlich, brauchbare Fäden zu schneiden, sagt Wiesheu und zieht den hauchdünnen Kiel durch Daumen und Zeigefinger. Danach folgte „learning by doing”: Im Internet schaute er sich Fotos historischer Stücke an, studierte klassische Gürtel und Trachten, lieh sich besonders schöne Modelle von Bekannten. „Außerdem habe ich die Nähmaschine meiner Mutter aufgearbeitet.”
Schließlich stellte seine Frau Theresa ihn vor die Wahl: „Entweder du machst das Hobby zum Beruf – oder du redest nie wieder davon”, sagte sie. Wiesheu, damals 30 Jahre alt, entschied sich für eine zweite Ausbildung zum Feintäschner, um professionelle Lederverarbeitung zu lernen – die Grundlage jedes bestickten Stückes. Beim Traditionshaus Roeckl in München. 2021 schließt er als Bundesbester ab. Sein Meisterstück: eine dreifächrige Damenhandtasche mit handgenähtem Griff und ein federkielbestickter Geldbeutel mit seinen Initialen.
Heute arbeitet Wiesheu neben seinem Job als Ausbilder beim Berufsbildungswerk in seiner eigenen Werkstatt auf dem Hof der Schwiegereltern in Sauerlach. Im ehemaligen Kuhstall, Tür an Tür mit dem Friseursalon von Ehefrau Theresa. Der kleine Raum ist professionell ausgestattet, an den Wänden hängen Schere, Zirkel, Hämmer, Kantenzieher, Nieteisen, Zangen, Schraubenzieher und Locheisen. Nähmaschinen für Leder und Stoff drängen sich neben eine 850 kg schwere Lederspaltmaschine, die er als Lehrling gebraucht für mehrere tausend Euro erwarb und von seinen Ersparnissen bezahlte.
Die Investitionen scheinen sich auszuzahlen: Wie sein erster Job im Labor habe auch dieser, so ganz andere Beruf Zukunft, glaubt Matthias Wiesheu. Die Wartezeit liegt bei anderthalb Jahren für einen Gürtel oder Hosenträger. Geldbeutel kann er etwas schneller anfertigen. Tracht hat Konjunktur: Manche Sammler besitzen mehr als 200 Ranzen, von denen ein Exemplar mehrere tausend Euro wert sein können. Historische Stücke, etwa aus der österreichischen Werkstatt Ludwig Furthmoser, werden im fünfstelligen Bereich gehandelt. Die Restaurierung solch wertvoller Stücke lassen sich die Besitzer etwas kosten, vielen Menschen ist die Instandsetzung mehrere tausend Euro wert. Mit einfachen Reparaturarbeiten von Lederhosen oder Hutfedern dagegen verdient Wiesheu kaum etwas. „Aber muss ich das?”, fragt er zurück. „Ich mache mein Handwerk, weil es mich glücklich macht.”